Gaga oder was? Der Schwachsinn gedeiht.

Gaga oder was? Der Schwachsinn gedeiht.

Gaga oder was? Der Schwachsinn gedeiht. 150 150 Rainer Vogt

Juni 2021

Zu denken gab menschliches Verhalten schon immer. Beispielsweise ließe sich fragen, warum immer wieder eine Mehrheit unter uns sich wie verabredet anschickt, ihr Verhalten zu ändern. Für gewöhnlich gerät dann, was zuvor üblich gewesen ist, unter Verdacht, wenn es nicht gar tunlichst vermieden wird, will man nicht Nachteile in Kauf nehmen. So ist das Rauchen in den 70er Jahren dermaßen opportun und verbreitet gewesen, dass Nichtraucher sich mit ihrem Verzicht keinen Gefallen taten, weil sie als Schwächlinge galten. Bekanntlich hat sich das radikal geändert. Geächtet wird nun, wer raucht.

Jetzt fällt auf, dass immer mehr Männer sich entweder gar nicht mehr oder, wenn doch, dann nur unvollkommen rasieren. Angesagt sind gelinde Stoppeln, wie sie etwa Christian Lindner für sich bevorzugt. Doch auch eine wachsende Zahl von Vollbärten in allen möglichen Varianten ziehen die Blicke auf sich. Jedenfalls gilt unübersehbarer Bartwuchs im Unterschied zum glatt rasierten Kinn bei Männern keineswegs mehr als ungepflegt. Auch Frauen lassen jetzt die Haare wachsen, die nun nicht selten bis zur Hüfte die Figur umspielen und darum täglich zu waschen sind.  

Weil Frauen aber hinsichtlich Bartwuchs Männern gegenüber benachteiligt sind, gerät auch da etwas in Bewegung. Man gewöhnt sich an fließende Geschlechtergrenzen. Wir seien nämlich lediglich „in Geschlechter sozialisiert“, doch „nicht geboren“. Das sagt im Interview mit der Illustrierten „Stern“  Bühnenkünstler:in Heinrich Miriam Horwitz und stellt klar: „Biologisch und genetisch reden wir über Mann und Frau. Soziologisch aber über Gender, also darüber, als was sich eine Person identifiziert und nicht, wie andere sie bestimmt haben“. Tatsächlich hat „man“ inzwischen die Wahl zwischen etlichen „diversen“ Möglichkeiten und kann sich im Sinne der „Genderfluidität“ zwischen allerhand Varianten „genderqueer“ verwirklichen und das nicht nur einmal im Leben, sondern so oft man dazu aufgelegt ist.

In anderer Hinsicht allerdings reduziert sich die Auswahl alarmierend, um unsereins, also uns „Menschen“, korrekt anzusprechen. Denn Leute, das Volk, Bürger, Personen, Individuen, die Bevölkerung, Einheimische, Fremde, Junge, Alte, Jugendliche, Teenager, Berufstätige, Chefs, Angestellte, Selbständige, Beamte, Arbeiter, Unternehmer, Genossen, Rentner, Pensionäre, Wähler und Kandidaten und noch viele andere befinden sich auf dem Rückzug, um den „Menschen“ das Feld zu räumen. Offensichtlich setzt sich – bei aller Diversität – jetzt endlich Gleichheit durch. Abgesehen freilich von der längst noch nicht erreichten Gleichberechtigung der Geschlechter. Abtreibung ist in Deutschland bis auf einige Ausnahmen immer noch verboten, wie der „Stern“ zum fünfzigjährigen Jubiläum seiner „Wir haben abgetrieben“-Nummer von 1971 klarstellt.

 Besonders deutlich zeigt sich die ansonsten erfreuliche Tendenz zur Durchsetzung von  Gleichheit daran, dass Bezeichnungen, die der Hautfarbe oder gar einer „Rasse“ galten, ganz und gar nicht mehr gehen. Verabschiedet aus dem Sprachgebrauch haben sich deshalb „Neger“, „Indianer“ und „Rothäute“, „Gelbe“ und „Eskimos“ und sicherlich noch viele weitere verunglimpfende Bezeichnungen. Den „Nigger Jim“ in Mark Twains Huckleberry Finn würde ich mir freilich verschont wünschen.

Kein Wunder also, dass sich mit verblüffender Dynamik das Duzen durchsetzt. Wir sind einander dermaßen ähnlich oder gleich, dass sich Familiennamen und erst recht Rangunterschiede erübrigen. Im Fernsehen sprechen sich die Moderatoren und Korrespondenten fast nur noch mit dem Vornamen an. Auch online werden wir geduzt. Zudem liefern wir brav unsere „Daten“ ab. Wir „stimmen zu“, damit wir kostenlos informiert werden. Da mutet es schon fast tröstlich an, dass an gewisse Unterschiede zwischen uns „Menschen“ dann doch nicht gerührt wird. Es bleibt eben doch beim biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau. Denn Adam formte unser Schöpfer zuerst als Mann! Laut biblischem Bericht ist Eva eben nur ein abgezweigter Teil von Adam, ein Rippenstück. Und dementsprechend hat sich, global betrachtet, an der Diskriminierung der weiblichen Hälfte der Menschheit bisher auch kaum etwas gebessert. Lediglich Frauen quälen sich mit grausam hohen Absätzen, zwängen sich in enge Hosen und müssen schön sein.

Geblieben ist zudem der fundamentale Unterschied zwischen Reichen und Privilegierten gegenüber Armen und Benachteiligten. Vor zweihundert Jahren „verfügten die wohlhabendsten 20 Prozent der Weltbevölkerung über dreimal mehr als die ärmsten 20 Prozent.“ Das war kaum der Rede wert. Denn  „2007 stand dem wohlhabendsten  Fünftel schon 83 mal mehr zur Verfügung“! Und obwohl die ökonomisch günstige Entwicklung in China und sogar Indien die krassen Missverhältnisse  etwas milderte, bleibt dem einen (!) wirtschaftlich stärksten Prozent der Weltbevölkerung gleich viel wie der halben restlichen Welt. Das wirtschaftlich ärmste Fünftel muss mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen. Vor zehn Jahren sollen an jedem Tag 6500 Kinder an Hunger und Unterernährung gestorben sein, 2,4 Millionen aufs Jahr gerechnet. Und wie schön: Die superreichsten Amerikaner zahlen so gut wie gar keine Steuern!

Gepriesen sei darum der Wandel. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.  Auch wenn uns dieses und jenes Angst einflößt, sind wir doch kreativ. Da kommt kein anderer Affe mit! Ein Symptom für diese Schöpferkraft lässt sich etwa beim Fernsehen, aber nicht nur dort, beobachten und vor allen Dingen hören! Warum tun wir uns beim täglichen Genuss des Fernsehprogramms so schwer damit, den Dialogen zu folgen? Ganz einfach: Die Schauspieler sprechen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, authentisch, nuscheln auch mal oder werden leiser, wenn sie sich entfernen. Vor allem aber konkurriert ihre Stimme mit tausenderlei Geräuschen um sie herum. Stille wie früher auf der Bühne gibt’s nicht mehr, auch keine Bühnensprache. Still ist es sowieso nirgendwo mehr. Wie künstliches Licht umgibt Lärm den Globus. Rhythmen, Töne und Geräusche laufen dem gesprochenen Wort den Rang ab. Wer sich beim Telefonieren in die übliche Warteschlange einreiht, muss ununterbrochen Lärm verkraften. Ohne akustische Begleitung sind Bilder fast nirgendwo mehr zu haben. So werden schroffe Felsen und Gebirge entsprechend heftig akustisch „untermalt“ und erhabene Blicke ins Weite sanft und sinfonisch in die Ferne geführt. Das Bildverständnis des TV- Konsumenten braucht offenbar unbedingt akustische Unterstützung.

Bei Essbarem stoßen wir dementsprechend auf abenteuerliche Mischungen. So bildet beispielweise Fleischkäse eine beliebte Basis für Kombinationen mit – natürlich – Käse, Zwiebeln, Gemüse und Gewürzen, Tomaten und vielem mehr. Selbst der Hering aus der Dose ist allein für sich kaum mehr zu finden. Überhaupt hat sich die Zubereitung von Speisen zu einem Tummelplatz für kreative Geister entwickelt. Und wer sich in Supermärkten umsieht, ist baff, wie viele Regalmeter sich mit Gewürzen, Milchprodukten, Wurstsorten, Backwaren, Fertigprodukten und Konserven, Kaffee- und Teesorten sowie Knabbereien füllen lassen.

Längst hat die Qual der Wahl auch die Politik und damit den Wähler erreicht. Für die Bundestagswahl im September sind, man staune, 42 Parteien zugelassen. Als problematisch stellt sich heraus, dass viele Wähler unter den sechs als demokratisch geltenden Parteien charakteristische Unterschiede kaum mehr erkennen. Wie im Fleischkäse wurden besonders bei CDU und SPD zu viele Bestandteile ununterscheidbar gemischt, weil die in mehrfacher Auflage regierende Große Koalition die politischen Rezeptoren der Wähler überfordert hat. Merkel wird für ein nach links gerücktes und verwaschenes Profil der CDU geziehen. Der SPD ist die Arbeiterschaft verloren gegangen, weil man ihr das soziale Engagement nicht mehr abnimmt. Die FDP wollte lieber gar nicht als falsch regieren. Was aber heißt „richtig“? Ob die Grünen in Anbetracht der drohenden Klimaproblematik ihre derzeitige Popularität – im Westen – halten werden, wird sich heraus stellen. Dass sie in den Verdacht gerät, als Verbotspartei zu gelten, spricht sich nicht zum ersten Mal herum.

Aufschlussreich ist das Ringen zwischen den Kandidaten Söder und Laschet gewesen. Die beklagenswerten Umfragewerte des nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten wurden gern mit seinem Wankelmut als Problemlöser erklärt. Söder galt als der entschlossenere Macher. Sich gegenüber standen beim Endspurt des Rennens, zwei konträre Auffassungen von Demokratie. Söder-Sympathisanten beriefen sich auf die „Basis“ und auf die Popularität des Bayern. Laschet verließ sich auf die zuständigen Parteigremien der CDU, von deren Wahl sein Sieg letztlich abhing. Dass dieser überschaubare Kreis der Mitglieder des CDU-Bundesvorstands schließlich Laschet zum Sieg verhalf und der Söder-Mehrheit der Umfragen dem Bayern die Niederlage aufnötigte, wurde in der Öffentlichkeit vielfach als undemokratisch missbilligt. Das aber spricht Bände.

Offenbar wurde in Deutschland noch immer nicht verstanden, was repräsentative Demokratie bedeutet. Der Wähler delegiert bei der Wahl seine Souveränitätsrechte an Repräsentanten, an Parlamentarier, also an den Bundestag. Der erst wählt nach oft zähen Verhandlungen unter möglichen Koalitionären schließlich den Kanzler. Wie die Parteien im Vorfeld der Wahl ihren Kandidaten bestimmen, lässt das Grundgesetz bislang offen. Was wir zuletzt miterlebt haben, sieht eigentlich bei gar keiner Partei überzeugend aus. Wie hätte etwa Scholz sich durchsetzen wollen, hätte die auf abstruse Weise ermittelte Doppelspitze der SPD nicht stillgehalten? Und ist die zwar geräuschlose, gleichwohl aber dubiose Entscheidung für Baerbock etwa demokratisch vor sich gegangen? – Mit Demokratie sollten Umfragen jedenfalls nicht verwechselt oder gar gleichgesetzt werden!

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