Allerhand zum Staunen

Mai / Juni 2023

Allerhand zum Staunen

Allerhand zum Staunen 150 150 Rainer Vogt

Im April eröffnete ein Museum in Lyon eine Ausstellung mit Exponaten, die ausnahmslos den menschlichen Körper nackt zeigen. Darum wurden ausschließlich Besucher zugelassen, die der Schau genauso entblößt näher treten wollten. Beifall vom FKK-Verband: „Das bringt uns dazu, uns auf unsere Wahrnehmung von uns selbst zu konzentrieren.“ Wohl wahr. Blicke auf die Exponate erübrigen sich dann.

Eine ähnliche Logik offenbarte der sogenannte „BUGA-Streit“ (BUGA = Bundesgartenschau). Das Vorhaben der AWO-Tanzgruppe Rheinau, in Mannheim mit Ponchos und Sombreros sowie Kimonos aufzutreten, wurde fallen gelassen. Mit derartigen Klischees wäre man blamiert.

Erst jetzt wird auch der Frevel offenbar, der im Schauspiel durchaus Usus gewesen ist: Dass Weiße Schwarze verkörpern wie zum Beispiel Othello in Shakespeares gleichnamigem Bühnenstück. Auch einer der drei heiligen Könige, die zu Jesu Geburt eilten, war von schwarzer Hautfarbe. Mit ihm, Melchior, war neben Asien und Europa auch Afrika beim Krippenbesuch vertreten, so der tiefere Sinn.

In Ulm nahm der Dekan Ernst-Wilhelm Gohl daran energisch Anstoß. Die im Ulmer Münster aus den 20er Jahren stammenden Krippenfiguren wurden entfernt. Mit seinen wulstigen Lippen und einem Goldring am nackten Fuß mache Melchior „schwarze Menschen verächtlich“, so Gohl. Doch nur allein den zu entfernen, das „wäre ja völlig absurd…“ Das nämlich würde missverstanden und die Frage aufwerfen: „Darf ein schwarzer König an der Krippe sein, ja oder nein?“ Also lieber gar keine Könige mehr in Ulm.

In Florida wurde eine Lehrerin entlassen, nachdem sie Schülern der sechsten Klasse im Kunstunterricht die splitternackte Statue des „David“ von Michelangelo zeigte. Das 1504 geschaffene Werk, ein Musterbeispiel italienischer Hochrenaissance, verkörpert den biblischen Helden, der nur mit einer Schleuder bewaffnet, also nackt gegen den riesenhaften Goliath antrat. Für Zwölfjährige in Florida selbstverständlich eine Zumutung, weil schamlos. In Florenz, wo Michelangelos David sich im Original befindet, fühlte man sich eher geschmeichelt und lud die gekündigte Lehrerin zu einem Besuch ein.

Dabei lässt sich an diesem David obendrein besonders anschaulich demonstrieren, wie beim aufrechten Stehen einst Stand- und Spielbein einander ergänzt haben. Nachdem sich diese entspannte Art des Stehens inzwischen so gut wie verloren hat, weil alle Welt sich daran gewöhnt hat, das Körpergewicht auf beide, jetzt leicht gegrätschte Beine zu verteilen, hätten die Sechstklässler etwas lernen können. Vielleicht haben sie das ja auch bei der unerschrockenen Lehrerin.

Besonders fällt überall die  veränderte Mimik auf. Wie oft übernahm der Sport die Führungsrolle beim kulturellen Wandel. Gelingt einem Spieler ein Torschuss, reißt er sein Maul so weit auf wie nur möglich.  Die Ähnlichkeit mit Affen, Löwen, Krokodilen schreckt offenbar nicht. Längst hat das tierische Vorbild Schule gemacht.

Zudem fällt auf, dass immer mehr Leute, die im Fernsehen (oder sonst wo) das Wort ergreifen, ihren Mund schief, also nicht symmetrisch bewegen. Im Fernsehen fällt Saskia Esten damit auf. Sie spricht mit rechts weiter geöffneter Mundhälfte. Auch Justizminister Marco Buschmann hält das so. Einmal aufmerksam geworden sieht man sich mit einem ausgesprochenen Trend konfrontiert. Vielleicht gleicht der schief geöffnete Mund das symmetrische Stehen auf beiden Beinen aus.  

Seit Corona uns das Haus hüten lehrte, rasieren sich Männer kaum mehr und lassen Bärte wachsen, während Frauen ihre Haare kaum mehr kürzen. Noch vorhandene Ausnahmen bestätigen den Trend. Selbst jemand wie Christian Lindner ist mit Stoppeln unterwegs. Dass die Geschlechter sich unterschiedlich kleiden und benehmen, ist nicht neu. Allerdings scheint das Bedürfnis junger Frauen, Blicke auf sich zu ziehen, stärker denn je entwickelt. Hautenge Strumpfhosen, extrem kurze Miniröcke, entblößte Körpermitten und hohe Absätze dominieren. Seit wann die Werbung ums andere Geschlecht den Männern erlassen und den Frauen aufgebürdet wurde, lässt sich nicht eindeutig terminieren. In Frage kommt dafür die Französische Revolution, als das Bürgertum dem Adel die Herrschaft entriss und sich fortan – für Männer jedenfalls – der graue Anzug durchsetzte.

Nachdem seit Mitte 2022 auch bei uns jeder Mensch sein Geschlecht frei bestimmen darf, gleichgültig wie er zur Welt kam, doch ohne die Verpflichtung, den Wunsch operativ nachzuvollziehen, wird sich herausstellen, was dabei herauskommt. Womöglich eine Angleichung der biologischen Gegebenheiten? Vorläufig ungeklärt bleibt, inwieweit die „nicht binäre“ Angleichung der Geschlechter und die Errungenschaften von LGBTIQ das Gebären von Nachwuchs beeinflussen wird. Noch sind weibliche Paare auf Hilfe von dritter Seite angewiesen. Erst recht keine Kinder bekommen zwei Männer miteinander. Darum heißt es in mindestens sieben Ländern auf der Welt „God hates fags“ – er hasst Schwuchteln! Dort droht ihnen sogar die Todesstrafe. 

Unwiderstehlich wirkt offenbar auf fast alle Jüngere der Drang, den Körper mehr oder minder flächendeckend mit Tattoos zu schmücken. Offensichtlich befriedigt Körperbemalung ein Mitteilungsbedürfnis. Wer man ist oder wer man sein möchte, das vermag schmucklose Haut beim besten Willen nicht zu sagen. Und dass der Wiener Architekt Adolf Loos 1910 das Tätowieren als „primitiv“ verspottete, weiß fast niemand mehr. Zudem gälte Loos‘ verächtliche Sicht auf Körperornamente als rassistische Verunglimpfung eigentlich respektabler Kulturleistungen, etwa der australischen Aborigines und der Afrikaner.

Staunen lässt aber das kulturübergreifende Einverständnis, das sich am Beispiel von ungeborenem Nachwuchs offenbart. In den USA macht die Quiverfull-Bewegung von sich reden. Übersetzt meint das den „Köcher voll haben“. Tatsächlich geht es diesen Leuten darum, so viele Kinder in die Welt zu setzen, wie es Gott gefällt, möglichst viele also. „Im Juni 2022 kippte der Oberste Gerichtshof der USA das liberale Abtreibungsrecht“, erfährt man im Internet. Wörtlich heißt es „Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung“. Den Einzelstaaten bleibt überlassen, das Urteil konkret auszugestalten. Fast rührend mutet da an, dass auch die orthodoxe Kirche in Russland nichts anderes will. Auch sie fordert energisch sowohl den Verzicht auf Verhütungsmittel als auch auf Abtreibung. Im Krieg tut Kanonenfutter not.

Umso lebendiger, abwechslungsreicher und voller merkwürdiger Überraschungen mutet das Gewimmel auf den Straßen Backnangs an. Zunächst begegnet man öfter als je zuvor Schwangeren oder schon jungen Müttern, die Kinderwagen mit Zwillingen vor sich herschieben. Nicht selten sieht man mehrere dieser Mütter gemeinsam ihren Kinderreichtum hüten und zu diesem Zweck eine Zeitlang im Café sitzen. Manchmal ist die junge Familie sogar mit drei, vier, fünf Kindern gemeinsam unterwegs.

In scharfem Kontrast dazu, doch gleich daneben ergänzt weniger Erfreuliches das Bild. Der Rollator fiel mir zuerst vor gut zwanzig Jahren auf. Jetzt begegnet man ihm auf Schritt und Tritt als Einkaufshilfe und Notsitz. Aufrechter Haltung dient er selten, im Gegenteil. Weit mehr her machen aber Elektromobile, auf denen behinderte Fahrer frech wie Oskar unterwegs sind, schneller nämlich als Leute zu Fuß. Auffallend daran ist, dass entsprechende Behinderungen in jedem Alter anzutreffen sind, keineswegs nur bei Älteren. Gleiches trifft auf Leute mit Beinprothesen zu, soweit die nicht von der Kleidung kaschiert werden. Offenbar wird in einem Umfang amputiert wie noch nie. Gleichfalls in jedem Alter. Insofern bei uns kein Krieg ist, rätselt man, was als Ursache dieser Beschädigungen alles in Betracht kommen kann. Staunen lässt das Schauspiel auf jeden Fall.

Ergänzt und vielfältig bereichert wird das Bild von allerhand Dickleibigen und von unzähligen Beispielen dafür, wie gesundes Gehen unabhängig vom Alter verloren gehen kann. Wie mühsam etwa übermäßig dicke Oberschenkel von ihren extrem übergewichtigen Besitzern oder Besitzerinnen aneinander vorbei geführt werden müssen, ist ein gruseliges Schauspiel. Besser schaut man nicht hin.

Dass sich bedenklichen Erscheinungen wie dem Krieg in der Ukraine auch Positives abgewinnen lässt, zeigt sich an dem Vergnügen, das manche bei zivilem Panzerfahren genießen. So ein Panzer kann einfach weit mehr als ein Auto mit Rädern. Die Nachfrage habe sich deutlich belebt, heißt es beim Offroad-Team Landsberg, das einem diese schöne Erfahrung ermöglicht.

Überhaupt empfiehlt sich positives Denken. Ein Gehirnimplantat der Firma Neuralink (die anteilig Elon Musk gehört) bewährt sich bei Parkinson, Schlaflosigkeit und Schizophrenie. Auch bei Brain-Computer-Interface (BCM) mischt Musk mit. Dort sei es gelungen, einem seit zehn Jahren Querschnittgelähmten wieder auf die Beine zu helfen. Und einen mit einem Locked-in-Syndrom (Lähmung der Kopf- und Gesichtsmuskulatur) wieder sprechen und lachen lassen. Was Jesus geschafft hat, können allmählich auch wir!

Back to top

Datenschutz-Einstellungen

Diese Website verwendet nur zwei essenzielle Cookies. Der 'resolution'-Cookie merkt sich die Bildschirmgröße und unterstützt so die richte Ausgabegröße für diverse Endgeräte. Der zweite 'eut-privacy-consent'-Cookie merkt sich, ob Sie Ihr Einverständnis zur Cookieverwendung gegeben haben, damit Sie nicht mit jedem Seitenbesuch erneut Ihr Einverständnis erklären müssen.
Mehr zu Cookies lesen Sie auf der Seite Datenschutzerklärung.        

Hier können Sie Ihre Datenschutzeinstellungen ändern. Es ist zu beachten, dass das Blockieren einiger Arten von Cookies Ihre Erfahrung auf unserer Website und die Dienste, die wir anbieten können, beeinflussen kann.

Klicken Sie auf , um Google Fonts zu aktivieren/deaktivieren.
     
Diese Website verwendet nur zwei essenzielle Cookies. Der 'resolution'-Cookie merkt sich die Bildschirmgröße und unterstützt so die richte Ausgabegröße für diverse Endgeräte. Der zweite 'eut-privacy-consent'-Cookie merkt sich, ob Sie Ihr Einverständnis zur Cookieverwendung gegeben haben, damit Sie nicht mit jedem Seitenbesuch erneut Ihr Einverständnis erklären müssen. Mehr zu Cookies lesen Sie auf der Seite Datenschutzerklärung.