Der Mohr kann gehen, nein er muss!

1. Januar 2021

Der Mohr kann gehen, nein er muss!

Der Mohr kann gehen, nein er muss! 150 150 Rainer Vogt

Wer weiß, ob nicht der miserable Leumund, den Schiller dem Spitzbuben Muley Hassan im Drama „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ verpasst hat, zusätzlich Munition zur Rassismus-Debatte geliefert hat, die um den „Mohren“ entbrannt ist. Auf den zu jeder Schandtat für seinen Herrn bereiten Schwarzen geht das geflügelte Zitat zurück, wonach „der Mohr“ nach getaner Arbeit „gehen kann“, das heißt entlassen wird.

Befeuert wurde die Debatte im Oktober von Vorgängen in Ulm. Kaum hatte man dort die „Mohrengasse“ vor der Absicht der SPD-Gemeinderatsfraktion gerettet, den „rassistisch konnotierten“ Namen in der Altstadt umzubenennen, erkannte der fürs Ulmer Münster zuständige evangelische Kirchengemeinderat die Gefahr, die von der Aufstellung der Krippenfiguren an Weihnachten drohte. Denn Melchior, der Schwarze unter den Heiligen drei Königen, hatte nicht allein die falsche Hautfarbe, als expressionistische Schöpfung der 20er Jahre galt die Figur dem Rat zudem als abstoßend hässlich. Unter Berufung auf das Lukas-Evangelium, wo Maria, Josef und das Jesuskind unter sich bleiben, ließ man die Könige einfach  weg.

Nachdem die „Anbetung der Heiligen drei Könige“ zu den Standardthemen der europäischen Kunstgeschichte zählt, steht da einiges auf dem Spiel. Wer entsprechend googelt, stößt auf lauter illustre Namen wie Giotto, Leonardo, Bosch, Rogier van der Weyden, Botticelli, Dürer, Altdorfer, Tiepolo und viele mehr, weil kaum ein Maler vom 15. bis zum 18. Jahrhundert sich das attraktive Thema entgehen ließ. Sollte das Bedürfnis nach Vermeidung anstößiger Bezeichnungen oder Namen anhalten, steht nicht nur Museen einiges bevor. Man hält es nicht für möglich, wie viele Apotheken den problematischen Namen tragen. Von Shakespeares Othello und vom Mohrenkopf mitsamt dem Sarotti-Mohren ganz zu schweigen. Und wer hätte gedacht, dass sogar Möhren in Verdacht geraten?

Wie brisant und konfliktgeladen der Streit um Worte ist, wird deutlich, wenn man sich die enge Nachbarschaft zwischen als „rassistisch“ geltenden Sprachsünden und jenen vergegenwärtigt, die für den Gender-Diskurs bedeutsam sind. Missverständnissen bahnt schon der Umstand Wege, dass das Deutsche den Begriff „Gender“ eigentlich nicht kennt, während man im Englischen sozial und kulturell geprägte Geschlechterrollen vom biologisch definierten „Sex“ unterscheidet. Dass den Geschlechtern traditionell unterschiedliche Rollen zugewiesen wurden, die sie großenteils auch lebenslang respektierten, wurde mit der Forderung nach Gleichberechtigung und Gleichstellung von Mann und Frau fragwürdig. Inzwischen gerät der biologische Unterschied zwischen Mann und Frau selbst ins Zwielicht. Sich nach der Geburt körperlich noch für das Eine oder das Andere entscheiden zu können, ist für den Einen oder die Andere womöglich eine wünschenswerte Option. Besonders dann, wenn jemand sich im falschen Körper fühlt. Das privilegierte Dasein des Hermaphroditen ist ja bislang rar.

Wie leicht der Disput vernünftige Grenzen überschreitet, war im Sommer zu beobachten, als Joanne K. Rowling, die Erfinderin von „Harry Potter“, zwischen die Fronten von „Transpersonen“ und jenen geriet, die am Unterschied zwischen Mann und Frau festhalten. Nach dem Gender Recognition Act der britischen Regierung von 2004 dürfen Männer ohne jegliche medizinische Indikation behaupten, sie seien Frauen (so Philipp Oehmke im Spiegel Nr. 51), womit sie problemlos in zweifelhafter Absicht Frauentoiletten aufsuchen könnten, so die möglicherweise biografisch genährte Befürchtung der Schriftstellerin. Ihre engagierte Stellungnahme zugunsten einer vermeintlich „transphob“ gesinnten Frau, die nach juristisch verlorenem Streit mit einer „Transe“ zudem noch ihren Job verlor, heizte die feindselige Stimmung erst recht auf. Inzwischen, nach einem Tweet, in dem sich Rowling über die verquälte Umschreibung der Frauen als „Menschen, die menstruieren“ mokierte, ist die Erfolgsautorin für ihre Fangemeinde so gut wie gestorben. „Cancellation“ soll der Fachausdruck bei Twitter heißen, wenn jemand nach Strich und Faden niedergemacht wird, bis sich nichts mehr rührt. Selbst Emma Watson und John Radcliffe, die Hauptdarsteller der Harry-Potter-Filme, distanzierten sich von der einst mit riesiger Anhängerschaft gesegneten Schriftstellerin.

Die im Deutschen verbreitete und eigentlich bewährte Errungenschaft des „generischen Maskulinums“ nimmt womöglich bald ein unrühmliches Ende. So wird die Möglichkeit bezeichnet, mit der männlichen Bezeichnung etwa des Lehrers auch alle weiblichen Pädagogen mit anzusprechen. „Jeder, der helfen will, ist willkommen“, schlägt Wikipedia als weiteres Beispiel vor. Jede, die helfen will, erübrigt sich. Wikipedia führt auch ein Hauptargument der feministischen Zweifler*innen an, wonach die nicht ausdrückliche Nennung des weiblichen Teils „ausgeblendet“ bzw. „nicht mitgedacht“ würde. Versuchsweise hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bei einem Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht den Spieß umgedreht und sämtliche Personenbezeichnungen ausschließlich mit ihrer weiblichen Form genannt. Allein die Schuldnerin, die Richterin, die Gläubigerin sind darin angesprochen gewesen, obwohl auch Schuldner, Richter und Gläubiger gemeint gewesen wären. Selbstverständlich wurde das Bubenstück der Ministerin beim Kabinettsbeschluss umgehend rückgängig gemacht. Doch soll an deutschen Hochschulen in Forschung und Lehre das Gender-Deutsch zunehmend verbindlich vorgeschrieben werden.

Einfacher werden die Verhältnisse auf der Welt so nicht. Dafür wird der Umgangston rauer und von deutlich mehr Moral geprägt und eingeengt. Es geht darum, was man sagen darf und was nicht. Wer das Kopftuch als Zeichen von Unterdrückung versteht und das sagt, offenbart seine Intoleranz. Wer den Islam nicht als Bestandteil deutscher Kultur auffasst und seine Einstellung dazu ungeschminkt ausspricht, entlarvt sich als politischer Rechtsausleger. „People of Colour“ korrekt anzusprechen ist überhaupt schwierig. Radikal aus dem deutschen Wortschatz gestrichen ist der „Neger“. Interessant wäre zu erfahren, ob man in neuen Übersetzungen von Mark Twains Huckleberry Finn überhaupt noch auf den „Nigger Jim“ stößt, mit dem zusammen Huckleberry den Mississippi flussabwärts fuhr. Zum Glück nahm Heinrich Hoffmann im Struwwelpeter schon 1844 korrekt Partei für den kleinen „kohlpechrabenschwarzen Mohr“, den die frechen Knaben Wilhelm, Ludwig und Kaspar arg verhöhnten. Zur Strafe tunkte der „große Nikolas“ sie nämlich von Kopf bis Fuß ins Tintenfass. So wurden sie selber schwarz.

Die moralischen Richtlinien der „politischen Korrektheit“ werden inzwischen unter dem Begriff der „Identitätspolitik“ fortgeschrieben, die sich dem Schutz von Minderheiten verschreibt, was natürlich recht und billig ist. Bedenklich werden löbliche Absichten aber leicht dann, wenn sie mit militanter Ausschließlichkeit zum Nachteil anderer verabsolutiert werden. So sind systemkritische Gruppierungen wie Antirassisten, Vertreter von Gender-Politics und die Fridays-for-Future-Anhänger anscheinend zu einer fundamentalen Allianz unterwegs, die einen grundsätzlichen Systemwandel ins Auge fasst. Wie Andreas Rödder, Historiker an der Uni Mainz, in einem Spiegel-Essay (Nr. 52) ausführt, halten Protagonisten dieser Bewegungen „die westliche Gesellschaftsordnung für strukturell diskriminierend, rassistisch und zerstörerisch, und ihr offen eingestandenes Ziel liegt nicht in deren Reform, sondern ihrer Überwindung. Eines freilich war der exklusive Anspruch auf Wahrheit und Moral noch nie: demokratisch.“

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die Grenzen tolerierten Verhaltens nach und nach enger gezogen werden. Eigentlich verblüffend widerstandslos hat man sich unter den Corona-Bedingungen dieses Jahres an die AHA-Regeln gewöhnt,  man hält Abstand, denkt an Hygiene und trägt Maske. Auch auf etliche grundgesetzlich garantierte Freiheiten wurde bereitwillig verzichtet. Man verlässt kaum das Haus, kauft nur dringend Nötiges ein, trifft so gut wie keinen, geht nicht essen, reist nicht und verzichtet weitgehend auf Kultur und Vergnügen aller Art. Nicht einmal die dadurch existentiell in die Enge getriebenen Berufsgruppen leisten Widerstand, obwohl abzusehen ist, dass sie – staatliche Zuschüsse hin oder her -, wenn es so weitergeht, in den Ruin getrieben werden.

Bekanntlich sind die Zweifler am Ernst der Pandemie, die „Querdenker“, die Maskenverweigerer, die Abstände ignorierenden Demonstranten und erst recht die opportunistisch sich dazwischen mengenden AfD-Anhänger aus gutem Grund in Verruf geraten. Am Ernst der Situation zu zweifeln, ist lächerlich. Und die Regularien als schlau eingefädelte Tricks und Werkzeuge dubioser Verschwörer zu deuten, kann ernsthaft nicht überzeugen. Obwohl sich die Frage, wer aus dem verordneten Stillstand Nutzen zieht, kaum stellt: Es sind Amazon & Co zu Lasten des klassischen Einzelhandels und allerhand weiterer Betroffener.

Umso mehr Respekt verdient der Kabarettist Florian Schroeder, der sich am 8. August zu einer Querdenker-Demo in Stuttgart traute und mit seiner anderen Meinung nicht hinterm Berg hielt. Mit einem Hegel-Zitat verabreichte er der verdutzten Versammlung die adäquate Rezeptur zur Behandlung ihres Leidens: „Nämlich nicht immer nur zu glauben, das was wir denken oder meinen, ist richtig oder wahr, sondern wir müssen wieder lernen, dass wir im Denken unser eigener Gegner sein müssen.“

Richtig brenzlig wird die Situation ja dann, wenn die Eigentümer der einzig wahren Wahrheit sich zu Kontrolleuren aufschwingen und die Sünder mit scheelen Blicken tadeln, sie beschimpfen oder schließlich denunzieren. Und diese soziale Kontrolle kann wohlgemerkt von jeder Seite her erfolgen. Die Querdenker werden ihre Gegner verachten oder niederschreien oder, soweit sie rechts gestrickt sind, Reichsbürger vielleicht, ihnen mit Gewalt drohen. Der Staat, der anders als der Bürger das Gewaltmonopol besitzt, verhängt – durchaus legitim – Strafen und schießt dann doch gelegentlich übers Ziel hinaus. Verbotener Weise zu zweit auf einer Parkbank sitzen und dafür dreistellig blechen sollen?! Die Maske vergessen aufzusetzen und deshalb als Krimineller gelten? Und Quarantäne-Verstöße? Kommen sie  einer mit Haftstrafen bedrohten „gefährlichen Körperverletzung“ gleich? Schließlich der brave Bürger: Muss der nicht mit allen anderen zusammen an einem Strang ziehen und Leute, die sich nicht einfügen, zur Räson bringen? 

Am meisten zu fürchten ist wohl der Denunziant. Hat sich die bedrohliche Situation einmal so zugespitzt, dass vom „Sünder“ unzweifelhaft Gefahr ausgeht und Schaden für andere, ja für die Allgemeinheit zu befürchten ist, dann wird ihn anzuzeigen im Nu zur Bürgerpflicht. Schon bisher boten sich Raucher, Raser, Fleischesser und Trinker als geeignete Objekte für Schikanen und Hetze an. Vielleicht stellt die Pandemie tatsächlich eine Art Bewährungsprobe dar, ehe der Klimawandel „die Menschen“ mit noch weit desaströseren Erscheinungen konfrontiert. Wenn alles auf dem Spiel steht: Was droht uns, was droht den Sündern dann?

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